+ Nichts als Gespenster - Lesung mit Judith Hermann in der Pinakothek der Moderne +
 

München, 27.10.2003 Sie entsprachen genau der Zielgruppe. Zumindest wenn man einer Anfang des Jahres durchgeführten Marktforschung Glauben schenken will: 300 Zuhörer im nahezu voll besetzten Auditorium der Münchner Pinakothek der Moderne. Und die wurde am vergangenen Donnerstag erneut ihrem Ruf als interdisziplinäres Haus gerecht.
>>Was ist ein Nordlicht<<, sagte ich zu Owen und Owen sagte: >>Materie, ins All geschleuderte Materie, ein Haufen heißer Elektronen, zerborstene Sterne, was weiß denn ich.>>
"Nichts als Gespenster" heißt ihr aktuelles Buch, "Die Liebe zu Ari Oskarsson" die letzte Geschichte, aus der Judith Hermann auf Einladung des Hörverlages an diesem Abend liest: "Ich bin der einleitenden Worte immer nicht so fähig, ich lese einfach am liebsten.".
Hermann nähert sich ihrer Geschichte akustisch, sie überträgt, so Hans-Josef Ortheil, "Tonlagen des Jazz" auf ihre Stimme und findet dabei den "Sound einer neuen Generation" (Hellmuth Karasek). >>Es machte Owen und mir Spaß miteinander an eigentlich unnützen Dingen zu arbeiten. Wir verbrachten gerne Zeit zusammen. Wir redeten gerne über das, was wir tun könnten, tun würden, wenn wir Geld hätten, anders sein, anders leben würden.<<
Erschreckend ziellos wirkt sie, diese "Neue Generation", deren Repräsentanten zwischen Venedig, Prag und Karlsbad, der Wüste Nevadas, Island oder dem Norwegen nördlich des Polarkreises in den Tag hinein leben. Und doch, wenn Hermanns Stimme die Zustände des Alltags beschreibt, diese Leute, die man zu kennen scheint, ist es weit mehr als nur ein Aufbau von Atmosphäre. Es ist dieser schmerzlich vermißte Erfahrungsraum, den die Berlinern ihren Figuren einhaucht, der Ersatz des sinnlosen Reizes durch ein Sinnangebot. >>Etwas über sich selbst herausfinden, darüber wie es weitergehen sollte, mit mir und mit allem, ein langes Innehalten, vor etwas scheinbar großem, von dem ich nicht wußte, was es sein sollte.<< Fesselnd ist sie, diese Stimme, fremd und unnahbar. Ein neuer Ton des Erzählens, der sich, im Gegensatz zu ihrem Erstlingswerk "Sommerhaus, später" in deutlich längeren Geschichten niederschlägt. Zu lang, befanden einige Kritiker: "Der Weg von der Short story zum Roman führt nicht über die Verlängerung des Vorhandenen", klärt Thomas Steinfeld die Kleist-Preis-Trägerin Anfang des Jahres auf.
"Nichts als Gespenster" - geschriebenen also von einer Geisterjägerin ohne positives Konzept am Ende? >>
Ein Ort zudem, an dem die Welt vor meinem Fenster vorüberzog, und ich immerzu hätte überall sein können, das Draußen war ohne Bedeutung.<< Oder die literarische Weiterentwicklung einer, die ihren Figuren mehr Raum gelassen hat beim Innehalten und der Suche nach Orientierung? >>... und wir legten die Köpfe in den Nacken und sahen das Nordlicht an, ins All geschleuderte Materie, ein Haufen heißer Elektronen, zerborstene Sterne, was weiß denn ich. "Und bist du jetzt glücklich?" sagte Owen atemlos, und ich sagte "Sehr."<<
Hören Sie selbst!

Petra

Judith Hermann
Nichts als Gespenster

Autorisierte Lesefassung
Sprecher: Judith Hermann Produktion:
Sender Freies Berlin/ Der Hörverlag, 2002
3 MCs/CDs 24,95 Euro

 

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