+ Zum ersten Todestag des Märchenonkels der Nation +

  

  

  

München, 03.02.2003 Eine Kinderplatte mit Hans Paetsch als Erzähler haben wir noch nie in einer Flohmarktkiste zurücklassen können; jede Geschichte, die dieser "Grandseigneur der Synchronbranche" und "Märchenonkel" mehrerer Generationen erzählt, ist für uns eine Reise in die eigene Kindheit.
Nur Hans Paetschs warmer Bariton vermag diesen Bann zu erzeugen: Schon nach den ersten Worten taucht man in eine kindliche Phantasiewelt der  Abenteuer und Märchen ein - und nur das Knistern der alten Vinylscheibe hält einen noch in der Realität. Der Zauberer des gesprochenen Wortes selbst erklärte sich die Faszination, die seine Erzählweise bei Jung und Alt bis heute auslöst, in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost" schlicht und einfach so: "Ich lese den Kindern Märchen vor, so wie es sich gehört. Dazu sind sich viele Kollegen zu fein. Sie machen nicht das, was ich mache: voller Wut erzählen. [...] Wenn der Wolf kommt, dann spreche ich wie ein Wolf." (Quelle: dpa) Diese Inbrunst und "Wut" beim Sprechen verspürt man zum Beispiel beim Anhören der Hui Buh - Geschichten. Einmalig ist der Dialog zwischen Paetsch und Clarin, mit der jede Geschichte des tolpatschigen Gespenstes mit der rostigen Rasselkette beginnt. Immer wieder unterbricht Hui Buh mit krächzender Stimme den Erzähler - und wenn dieser dann das freche Gespenst liebevoll, aber streng zurechtweist, kann einem schon ein Schauer den Rücken hinablaufen. Daß Paetsch mit seiner Stimme so präzise Stimmungen wiedergeben und vor allem erzeugen konnte, darin lag seine große Kunst. Dabei hatte der Schauspieler, Regisseur und Synchronsprecher nie richtigen Schauspiel- oder gar Sprechunterricht: "Ich hatte ja nicht einmal eine Schauspielausbildung. Als ich mein erstes Engagement hatte, machte ich ganze acht Wochen Stimmübungen. Das war auch schon alles."
Das Theater war seine Leidenschaft; der Entschluß, sein Leben auf der Bühne des Theaters zu verbringen, fiel für Paetsch schon in seiner Studentenzeit. Nach dem erfolgreichen Ende eines Germanistik-, Anglistik- und Kunstgeschichtestudiums kam er in den dreißiger Jahren zum Theater und widersetzte sich damit den Vorstellungen seines Vaters,  einem Beamten aus dem Elsaß.  In dieser Zeit hatte der junge Paetsch Engagements an verschiedenen Bühnen Deutschlands; so ließ sich nicht vermeiden, daß der am 7. Dezember 1909 in Montreux-Vieux Geborene auch in Berührung mit dem Nationalsozialismus kam.

  

Der junge Schauspieler empfand eine tiefe Abscheu gegen die ideologische Vorstellung des NS-Regimes von einer deutschen Kunst und Kultur, doch erst die direkte Konfrontation mit Hitler bei der Premiere von "Madame Dubarry" veranlaßte ihn dazu, sein Engagement im Deutschen Reich zu beenden und nach Prag zu wechseln: "Ich spielte den Grafen Dubarry - ein ziemliches Mistvieh - und wurde nach Schluß der Vorstellung mit den anderen Schauspielern an Hitler vorbeigetrieben. Er piekste mir seinen Zeigefinger in den Bauch und lobte: "Säähr brav!" - Bald darauf habe ich um meine Vertragsauflösung gebeten."
Wie schon anfangs in Saarbrücken betätigte  sich Paetsch in Prag vor allem auf dem Gebiet der Literaturlesungen für den Hörfunk. Nach der Schließung der Theater im Deutschen Reich wurde er 1944 zum Militär einberufen. Zurück aus dem Krieg fand Paetsch 1947 endlich seine berufliche Heimat: das Thalia-Theater in Hamburg, wo er bis zu seinem Abschied von der Bühne im Jahre 1975 als Schauspieler und Regisseur wirkte. In zahlreichen Film- und Fernsehrollen war Hans Paetsch jedoch nicht nur als Synchronstimme, sondern auch selbst zu erleben, zuletzt in "Lola rennt". Doch was ihn am berühmtesten machte, seine zahlreichen Hörspielproduktionen für Kinder, war anfangs lediglich als willkommene Nebentätigkeit gedacht: 1965 entstanden die ersten Aufnahmen für EUROPA; daß sich daraus eine äußerst produktive Zusammenarbeit ergeben würde, dachte damals niemand - und dennoch entstanden zwischen 1966 und 1981, der Zeit der intensivsten Zusammenarbeit, weit über hundert Kinderhörspiele, die Hans Paetschs Berühmtheit begründeten.
Die Bedeutung, die seine Stimme für Generationen von Kindern und Jugendlichen als "Märchenonkel der Nation" eingenommen hat, war für den kinderlosen Paetsch eine hohe Auszeichnung, und schmunzelnd signierte er nach Literaturlesungen bereitwillig schon längst erwachsenen Fans ihre verschämt mitgebrachten, schon etwas angestaubten Hui Buh - LPs.
Heute vor einem Jahr verstarb Hans Paetsch nach einem erfüllten Leben: "Was bleibt, ist eine Stimme, die Kindern ein akustisches Bilderbuch öffnet und die Großen auf Vergangenheitsreise schickt."
(Mark Daniel in seinem Nachruf auf Hans Paetsch)

 

 

Michael

 

 

 

Hans Paetsch in den 1960er Jahren...

 

...und in seinen letzten Lebensjahren

 

 

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